Im Schatten des Helden

David Kaspar
David Kaspar
Freitag, 20. Juni. 2025
Warum Unternehmen lernen müssen, Geschichten zu erzählen –
aber nicht ihre eigenen!

Eine Blogserie über Donald Millers „StoryBrand“-Prinzip, das Missverständnis von Heldenrollen im Marketing und die Rückkehr der klassischen Dramaturgie ins Wirtschaftsleben.
In einer Welt, in der Marken permanent kommunizieren, aber kaum noch gehört werden, gewinnt ein alt-neues Konzept überraschende Aktualität: das Erzählen. Genauer: das narrative Denken im Marketing.

Teil 1: Der Kunde als Held – Eine neue Sicht auf Markenkommunikation

In einer Welt, in der Marken permanent kommunizieren, aber kaum noch gehört werden, gewinnt ein alt-neues Konzept überraschende Aktualität: das Erzählen. Genauer: das narrative Denken im Marketing.

Donald Miller, einst Romancier, heute Vordenker strategischer Markenführung, hat mit seinem „StoryBrand“-Ansatz eine Perspektive etabliert, die Marken radikal umdenkt. Nicht mehr das Unternehmen ist der Held der Geschichte – sondern der Kunde. Und die Marke? Sie wird zum Mentor, zum Wegbegleiter, zur diskreten, aber entscheidenden Kraft im Hintergrund.

In Teil 1 dieser Serie gehen wir der Frage nach, warum klassische Markenkommunikation an ihrer Ich-Zentriertheit leidet – und wie Unternehmen mithilfe der Heldenreise zu echter Relevanz zurückfinden können. Höhepunkt ist die detaillierte Erkundung der sieben Stationen der Heldenreise als strategisches Kommunikationsmodell.

Die Rückkehr des Mythos

Inmitten der algorithmisch temperierten Austauschbarkeit moderner Markenkommunikation ist es ein beinahe ketzerischer Gedanke: Dass ausgerechnet das Geschichtenerzählen, diese archaische, zutiefst menschliche Kulturtechnik, zur Rettung des Marketings avancieren soll.

Doch genau das ist die zentrale These von Donald Miller, einem ehemaligen Romancier, der sich in seinem Werk „Building a Story Brand“ anschickt, nichts Geringeres als die Sprache der Wirtschaft neu zu fassen.

 

In einer Welt, in der Corporate Language zur Liturgie des Unbedeutenden verkommen ist und PowerPoint-Präsentationen in ihrer narrativen Ödnis längst als mediale Wüste gelten, ruft Miller zur Rückbesinnung auf die elementaren Strukturen des Erzählens. Nicht als Selbstzweck, sondern als strategisches Instrument – und das mit einem fast schon paradoxen Vorschlag: Wer im Markt erfolgreich sein will, darf sich selbst nicht mehr als Held inszenieren. Der Kunde ist der Protagonist. Das Unternehmen? Spielt die Nebenrolle. Die wichtigste zwar – aber eben nur die des Mentors.

Die Illusion der Ich-Erzählung

Vom Mythos zur Marke: Die Struktur der Heldenreise

Die fundamentale Kränkung für jedes Unternehmen beginnt mit einer simplen Erkenntnis: «Niemand interessiert sich für Ihre Geschichte – es sei denn, sie handelt von mir.»

Diese Erkenntnis wirkt beinahe wie ein Affront, besonders in einer Welt, in der Organisationen unermüdlich versuchen, sich selbst zu erklären, zu profilieren, zu inszenieren. Man denke an viele klassische Werbekampagnen Deutscher und Schweizer Industrieunternehmen: „Wir sind führend in XYZ“, „Seit 1873 für Sie da“, „Pionier der Innovation“. All das ist formal korrekt, aber emotional leer. Selbst etablierte Marken wie Siemens oder SAP haben sich über Jahre hinweg schwer damit getan, eine Erzählung zu finden, in der der Kunde mehr ist als ein Statist im Maschinenraum der Technikgeschichte.

 

Doch Miller widerspricht. Mit Nachdruck, mit System – und mit literaturtheoretischer Präzision. Das Publikum, so seine zentrale These, folgt Geschichten nicht um der Geschichte willen. Es folgt ihnen, weil es sich selbst darin erkennt. Weil es hofft, sich selbst darin wiederzufinden.

Die sieben Stationen der Heldenreise – ein Fahrplan durch die Kundenwahrnehmung

Die Heldenreise ist nicht bloss eine narrative Konvention. Sie ist eine anthropologische Grundstruktur des Verstehens, ein archetypisches Muster, in dem Menschen seit Jahrtausenden Welt, Wandel und Wirkung deuten. In Donald Millers Übertragung auf die Markenkommunikation wird sie zum strategischen Raster, mit dem Unternehmen aus Produkten Bedeutung und aus Botschaften Beziehungen formen können. Doch dieser Weg ist kein simpler Ablauf, sondern ein psychologischer Prozess. Wer ihn gehen will, muss seine Kunden nicht nur erreichen, sondern erkennen.

1. Die normale Welt

Jede Geschichte beginnt im Status quo.

Der Held – in diesem Fall der Kunde – befindet sich in einer bekannten, aber oft unbefriedigenden Umgebung. Diese „normale Welt“ ist der Ausgangspunkt seiner Reise. Sie ist geprägt von Routinen, Einschränkungen oder ungelösten Bedürfnissen, die er möglicherweise noch gar nicht artikuliert hat. Im kommunikativen Sinne bedeutet das: Marken müssen zuerst das Alltagsgefühl des Kunden verstehen – nicht als demografische Datenlage, sondern als lebendige Erfahrungswelt.

 

Die Aufgabe der Marke ist hier nicht, zu glänzen, sondern zuzuhören. Was beschäftigt den Menschen? Worin liegt seine Unruhe, sein Mangel, seine Sehnsucht? Die normale Welt ist nicht belanglos. Sie ist der Resonanzraum, aus dem sich jedes Bedürfnis erhebt. Wer sie nicht präzise erfasst, kann keine glaubhafte Reise eröffnen.

2. Das Problem

Erst durch ein Problem beginnt Bewegung.

Das Problem ist der dramaturgische Katalysator, der aus einem Status eine Suche macht. In Millers Modell ist das Problem dreifach codiert: Es existiert auf einer äusseren, einer inneren und einer moralischen Ebene.

  • Das äussere Problem ist oft funktional: ein Defizit, ein Hindernis, eine Störung.
  • Das innere Problem ist emotional: Frustration, Unsicherheit, Angst oder Scham.
  • Das philosophische Problem ist normativ: Warum ist diese Situation ungerecht, falsch oder nicht hinnehmbar?

Für die Markenkommunikation heisst das: Kunden kaufen nicht, weil sie etwas wollen, sondern weil sie etwas nicht mehr wollen. Die Kunst besteht darin, dieses Problem nicht nur zu benennen, sondern so zu formulieren, dass der Kunde sich gesehen und verstanden fühlt. Das Problem ist der Anker der Identifikation.

3. Der Mentor tritt auf

Der Mentor ist die entscheidende Figur, die den Helden auf seiner Reise begleitet.

Er ist nicht der Akteur der Geschichte, sondern ihr Möglichmacher. Seine Wirkung beruht auf zwei Pfeilern: Empathie und Autorität. Er muss zeigen, dass er das Problem des Helden kennt – emotional, nicht nur intellektuell. Gleichzeitig muss er glaubhaft vermitteln, dass er in der Lage ist, den Helden sicher zu führen.

 

In der Markenkommunikation bedeutet das: Unternehmen müssen nicht primär über sich sprechen, sondern über ihre Fähigkeit, dem Kunden zu helfen. Das erfordert sprachliche Zurücknahme und inhaltliche Präzision. Der Mentor stellt sich nicht in den Mittelpunkt – aber er ist unverzichtbar. Seine Stärke liegt in der Gelassenheit, nicht in der Geste. Er führt, weil er verstanden hat – nicht, weil er sich aufdrängt.

4. Der Plan

Vertrauen allein reicht nicht. Der Held muss wissen, was konkret zu tun ist.

Der Plan ist der strukturierte Weg zur Lösung. Er schafft Klarheit, reduziert Unsicherheit und gibt dem Helden eine Handlungsperspektive. Ohne einen Plan bleibt die Geschichte abstrakt – eine lose Verheissung ohne Greifbarkeit. In der Sprache der Markenkommunikation ist der Plan eine Art mentaler Vertrag: „Wenn du diese Schritte gehst, wird sich dein Problem lösen.“ Dabei gilt: Der Plan darf nicht kompliziert sein. Menschen entscheiden sich nicht für die bestmögliche Lösung, sondern für die verständlichste. Der Plan muss einfach sein – aber niemals banal. Er muss logisch wirken – aber emotional plausibel. Je klarer der Weg, desto grösser das Zutrauen.

5. Der Aufruf zum Handeln

Der Held handelt nicht automatisch. Selbst mit einem Problem, einem Mentor und einem Plan zögert er – aus Furcht, aus Trägheit, aus Zweifel. Deshalb braucht jede Geschichte den Call to Action. Er ist nicht bloss ein Werbeinstrument, sondern eine narrative Notwendigkeit. Er durchbricht das Schweben der Möglichkeit und fordert zur Entscheidung. Für Unternehmen ist dieser Moment heikel. Viele scheuen klare Handlungsaufforderungen, aus Angst, zu aufdringlich zu wirken. Doch wer nicht zum Handeln einlädt, verwehrt dem Kunden die Rolle des Helden. Der Aufruf muss direkt, konkret und mutig sein. Er kann freundlich formuliert sein – aber er darf nicht vage bleiben. Wer Transformation verspricht, muss zur Bewegung ermutigen.

6. Das Scheitern droht

Jede Reise birgt Risiken. Jede Nicht-Entscheidung hat Konsequenzen. Der mögliche Misserfolg verleiht dem möglichen Erfolg seine Relevanz. In Millers Modell ist das Scheitern keine Drohung, sondern ein dramaturgisches Gegengewicht – es macht deutlich, was auf dem Spiel steht. Ohne dieses Risiko gibt es keine echte Motivation zum Handeln. Marken müssen diesen Punkt mit Feingefühl gestalten. Zu viel Druck lähmt, zu wenig Ernsthaftigkeit entwertet. Die Kunst liegt im Ausbalancieren: Der Kunde muss spüren, dass es etwas zu verlieren gibt – aber auch, dass er nicht allein ist. Scheitern wird plausibel – aber vermeidbar. Diese Spannung ist der emotionale Treibstoff der Reise.

7. Der Erfolg

Am Ende der Reise steht nicht der Kauf, sondern die Verwandlung.

Der Held hat sein Problem gelöst, aber mehr noch: Er ist ein anderer geworden. Selbstbewusster, freier, glücklicher. Das Produkt oder die Dienstleistung ist nicht das Ziel – es ist das Mittel zur Selbstverwirklichung. Für die Markenkommunikation ist dies der entscheidende Punkt: Der wahre Wert eines Angebots liegt nicht in seinen Eigenschaften, sondern in seinem Beitrag zur Identität des Kunden. Der Erfolg muss konkret und emotional beschrieben sein. Es reicht nicht, zu sagen, was der Kunde „bekommt“. Man muss zeigen, wer er dadurch wird.

 

Wer die Heldenreise versteht, erkennt: Es geht im Marketing nicht um Lautstärke, sondern um Bedeutung – nicht um das Senden, sondern um das Verstehen.
Doch wie lässt sich diese Haltung in einer Welt behaupten, die von permanentem Reiz und flüchtiger Aufmerksamkeit geprägt ist?

Teil 2 zeigt bald, warum Klarheit zur Währung der Zukunft wird – und wie Marken lernen, inmitten des Lärms Resonanz zu erzeugen.

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